Lernen & Bewusstsein

Aufgabe

Bildung ist mehr als Wissen

Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2024

Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Herausforderungen wie politische Verschiebungen, Teilhabe an gesellschaftlichem Leben, Krieg, Fake News oder Klimawandel ist das Zusammenspiel von Lernen und Bewusstseinsbildung von zentraler Bedeutung, insbesondere in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Beide Konzepte tragen wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung und zur gesellschaftlichen Integration bei. Lernen vermittelt Wissen und Kompetenzen, während erst die Bewusstseinsbildung es ermöglicht, die eigenen Überzeugungen, Werte und die Rolle in der Gesellschaft kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. 

 

Eine gute Kombination von Lernen und Bewusstseinsbildung schafft die Grundlage für eine umfassende Bildung, die nicht nur Faktenwissen, sondern vor allem kritisches Denken, Selbstreflexion und soziale Verantwortung fördert.

 

Bewusstseinsbildung und Lernen

  • Bewusstseinsbildung bezeichnet den Prozess, bei dem Individuen ein tieferes Verständnis ihrer eigenen Überzeugungen und Werte und ihrer Rolle in der Gesellschaft entwickeln. Sie erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und der Mit- und Welt, um bestehende Denk- und Verhaltensmuster zu hinterfragen. 
  • Lernen dagegen ist der Prozess des Erwerbs von Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen. Lernen ermöglicht es, Informationen zu verarbeiten und darauf aufbauend bspw. immer neue Perspektiven zu entwickeln, die zur persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung beitragen.

Lernen und Bewusstseinsbildung stehen in der Jugend- und Erwachsenenbildung in einem engen Zusammenhang. Gute Bildungsarbeit zielt nie nur auf die Vermittlung von Wissen und Kompetenzen ab, sondern immer auch darauf, Personen dabei zu unterstützen, sich ihrer eigenen Überzeugungen, Werte und gesellschaftlichen Verantwortung bewusst zu werden. Dieser Prozess ist zentral für eine ganzheitliche Bildung, die kritisches Denken, Selbstreflexion und soziale Handlungskompetenz fördert.

 

Lernen als Basis der Bewusstseinsbildung

 

Lernen ermöglicht es, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und in einen individuellen oder/und gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Bewusstseinsbildung geht darüber hinaus: Sie erfordert die aktive Auseinandersetzung mit Lerninhalten, die Reflexion von Erfahrungen und das Hinterfragen bestehender Denk- und Verhaltensmuster. Beispielsweise kann das durch die Reflexion persönlicher Entscheidungen im Kontext gesellschaftlicher Themen geschehen, etwa wenn Lernende die Auswirkungen ihres eigenen Konsumverhaltens auf die Umwelt kritisch in Frage stellen und hinterfragen. Das geschieht besonders in der Jugend- und frühen Erwachsenenbildung, da diese Phasen von biografischer Entwicklung, Identitätsfindung und der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme geprägt sind.

 

Beispiele

 

  1. Kritische Medienbildung: Ein Workshop in der betrieblichen Jugendbildung vermittelt grundlegende praktische Informations- und Medienkompetenzen. Durch die Analyse von Nachrichten, Berichten, Fake News und manipulativen Botschaften lernen sie, Informationen kritisch zu hinterfragen. Dieser Lernprozess stärkt das Bewusstsein für die Bedeutung von „Realität, Wahrheit und Transparenz“ in einer demokratischen Gesellschaft.

  2. Interkulturelle Bildung: In einem Kurs zur interkulturellen Sensibilisierung setzen sich Jugendliche und Erwachsene mit den Themen kulturelle Vielfalt, Vorurteile und Diskriminierung auseinander. Mittels Erfahrungsberichten, gemeinsamen Gesprächen, Szenarien oder Rollenspiele entdecken und erkennen sie die Bedeutung von Empathie und Toleranz. Diese Bewusstseinsbildung schafft die notwendigen Grundlagen für ein respektvolles Miteinander.

  3. Bildungsprojekt zu Mädchen und Frauenrechten: In einem Workshop zur Bewusstseinsbildung im Bereich Mädchen- und Frauenrechte setzen sich Jugendliche und Erwachsene mit Themen wie Geschlechtergerechtigkeit, Gleichstellung auseinander. Durch die Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Beispielen, Diskussionen und Gruppenarbeiten werden die Teilnehmenden für Ungerechtigkeiten sensibilisiert und motiviert, sich für Gleichberechtigung und gesellschaftliche Veränderung einzusetzen.

  4. Nachhaltigkeitsprojekte: Jugendliche arbeiten in einem Bildungsprojekt zu Umwelt- und Klimathemen. Sie recherchieren zu ökologischen Zusammenhängen und entwickeln eigene Handlungskonzepte, beispielsweise zur Müllvermeidung. Dabei wird neben aller Inhalts- und Wissensvermittlung vor allem ein Bewusstsein für die eigene Verantwortung gegenüber künftigen Generationen gestärkt.

  5. Berufsorientierung und Wertebildung: In der Jugend- und Erwachsenenbildung bietet ein Bildungsangebot zur beruflichen Neuorientierung nicht nur fachliche Unterstützung, sondern regt auch zur Reflexion individueller Werte und Ziele an. Dieser Prozess fördert das Bewusstsein für persönliche Prioritäten und gesellschaftliche Verantwortung im Beruf.

  6. Soziale Projekte in der Gemeinschaft: In der Erwachsenenbildung nehmen Interessierte an sozialen Projekten teil, etwa durch die Mitarbeit in einer Sozialeinrichtung oder einem Gemeinwohlprojekt. Diese und ähnliche Aktivitäten und die Reflexion der Erfahrungen ermöglichen es ihnen, die Bedeutung von sozialem Engagement und Gemeinschaftssinn direkt zu erleben und zu reflektieren.

  7. Philosophische Gesprächsrunden: In Jugendbildungsprogrammen können philosophische Gesprächsrunden organisiert werden, in denen Jugendliche ermutigt werden, über ethische Fragestellungen, Lebensziele und den Sinn des Lebens im Allgemeinen zu diskutieren. Solche Gesprächs- und Arbeitsrunden fördern die kritische Reflexion und helfen ihnen, ihre eigenen Werte und Standpunkte bewusst zu hinterfragen.

  8. Geschlechtervielfalt und Inklusion: In einem Bildungsworkshop zur Geschlechtervielfalt beschäftigen sich die Teilnehmenden mit unterschiedlichen Geschlechteridentitäten und setzen sich mit Themen wie Gleichberechtigung, Respekt und dem Umgang mit Vorurteilen auseinander. Mittels moderierter Gespräche, Diskussionen, Situationsanalysen und Gruppenaufgaben entwickeln die Teilnehmenden ein besseres Verständnis für die Bedeutung von Diversität und Inklusion in der Gesellschaft.

  9. Demokratie-Workshops: In Demokratie-Workshops lernen Teilnehmende die Grundlagen und Ziele demokratischer Prozesse, wie Wahlen oder Bürger: innenbeteiligung. Durch Planspiele, bei denen sie politische Entscheidungsprozesse simulieren, wird bspw. das Bewusstsein für die eigene Rolle und Verantwortung in einer Demokratie geschärft.

  10. Gesundheitsbildung: In einem Kurs zur Gesundheitsbildung lernen Jugendliche und Erwachsene über gesunde Ernährung, Bewegung und mentale Gesundheit sowie den Aspekt der Eigenverantwortlichkeit. Neben der reinen Wissensvermittlung geht es auch um die Reflexion persönlicher Gewohnheiten und deren Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden. Das stärkt das Bewusstsein für die eigene Gesundheit und Eigenverantwortung.

Bedeutung für die Gesellschaft

 

Die Verbindung von Lernen und Bewusstseinsbildung trägt zur Entwicklung mündiger, kritisch denkender und verantwortungsbewusster Menschen bei, indem sie zu verbesserter sozialer Teilhabe und gesteigertem demokratischen Engagement führt. Gerade in einer globalisierten und von Krisen gebeutelten Welt ist es entscheidend, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch ein Bewusstsein für komplexe gesellschaftsrelevante Zusammenhänge zu schaffen. Jugend- und Erwachsenenbildung leisten hier einen essenziellen Beitrag, indem sie Lernräume schaffen, in denen Reflexion, Dialog und Wertebildung im Zentrum stehen.

 

Ausblick 

 

Um zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, müssen Bildungsanbietende und Bildungseinrichtungen weiterhin innovative und interdisziplinäre Ansätze entwickeln, die Lernen und Bewusstseinsbildung noch stärker miteinander verknüpfen. Der Ausbau digitaler Bildungsformate, die Förderung von projektbasiertem Lernen und eine stärkere Einbindung von gesellschaftlich relevanten Themen sind wichtige Schritte, um Bildung an die sich wandelnden Bedürfnisse der Gesellschaft anzupassen. Ziel muss es sein, Lernende nicht nur auf den Arbeitsmarkt vorzubereiten, sondern auch zu befähigen, aktiv und verantwortungsvoll an der Gestaltung einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft teilzunehmen.

 

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