Goldene Regeln
Simple Konzepte sind wenig zielführend
Autor: Manfred Hofferer & Team Bildungspartner Österreich, © BPÖ 2024
Bildungsrezepte, sogenannte goldene Regeln und einfache Konzepte sind pauschale Annahmen, die in der Bildungsarbeit gerne verwendet werden, um Wissen oder Fertigkeiten zu standardisieren. Sie sind simpel, vermitteln vermeintlich Sicherheit und lassen Bildungsarbeit wie ein leicht handhabbares System erscheinen. Aber genau hier liegt das Problem: Diese Ansätze sind schlicht nicht zielführend, weil sie die Vielfalt individueller Lernprozesse völlig ignorieren. Bildungsarbeit ist komplex, sie verlangt Anpassungskompetenz, Kreativität und das Eingehen auf individuelle Unterschiede - all das bleibt bei starren Regeln auf der Strecke.
Der Hauptgrund, warum Bildungsrezepte scheitern, liegt in der Individualität des Lernens. Lernende sind eben keine genormte Gruppe, die sich mit ein paar fixen Methoden gleich effektiv fördern lässt. Wer glaubt, mit festen Regeln alles abdecken zu können, ignoriert die Unterschiede in den Ausgangslagen, der Motivation, den Vorkenntnissen, die Auswirkungen der sozialen Interaktion und der Wirkung der Lernumfelder. Pauschale Ansätze führen zwangsläufig dazu, dass viele Lernende auf der Strecke bleiben, insbesondere wenn es um Soft Skills geht. Hier spielen vor allem emotionale und soziale Kompetenzen eine wesentliche Rolle, und diese lassen sich nun mal nicht in Schablonen pressen.
- Beispiel: Konfliktbewältigung. Eine goldene Regel könnte lauten: "Immer ruhig bleiben und Konflikte sachlich angehen." Klingt gut, aber funktioniert in der Praxis oft nicht. Es ignoriert, dass Menschen in verschiedenen Situationen unterschiedlich reagieren und Handeln. Für manche bedeutet "ruhig bleiben" lediglich, die eigenen Emotionen zu unterdrücken, anstatt den Konflikt in den Fokus zu nehmen und wirklich zu lösen. Das Ziel muss sein, die Dynamik und Persönlichkeit der Beteiligten zu berücksichtigen, statt alle durch dasselbe starre Labyrinth zu zwängen.
- Beispiel: In einem Seminar zu Konfliktmanagement wurde von der Kursleitung strikt auf die Regel bestanden, dass alle im Konfliktfall zunächst bis zehn zählen und ruhig bleiben müssen. Mehrere Teilnehmende berichteten später, dass diese Strategie in akuten Stresssituationen versagte. Einer der Teilnehmenden, der in einem Kundinnen Gespräch mit einer aufgebrachten Kundin konfrontiert war, bemerkte, dass das "ruhig bleiben" und "bis zehn zählen" zwar dazu führte, dass er nicht impulsiv reagierte, jedoch keine Lösung für das Problem brachte. Die Kundin fühlte sich nicht ernst genommen und die Situation eskalierte weiter.
Auch in der Teamarbeit gibt es dieses Phänomen: "Jeder sollte gleich viel reden." Das klingt fair, verkennt aber völlig die unterschiedlichen Kommunikationsstile und Rollen innerhalb eines Teams. Ein stilleres Teammitglied mag wertvolle Einblicke haben, ohne viel zu reden, während andere durch ihre Worte den Prozess antreiben. Das Ziel darf nicht sein, Gleichheit nach einem starren Maßstab zu erzwingen, sondern ein Umfeld zu schaffen, in dem alle ihre individuellen Stärken optimal einbringen können.
- Beispiel: In einem Workshop zur Teamarbeit wurde strikt darauf geachtet, dass alle Teammitglieder gleich viel Redezeit erhalten. Das Ergebnis: Einige introvertierte Teilnehmende fühlten sich unter Druck gesetzt, obwohl sie eigentlich lieber erst die Diskussion beobachten und ihre Überlegungen später präzise formulieren wollten. Dies führte dazu, dass ihre Beiträge oberflächlicher wurden und ihre eigentlich wertvollen Perspektiven verloren gingen. Der zwanghafte Versuch, eine vermeintlich "gerechte" Verteilung der Redezeit durchzusetzen, reduzierte letztlich die Qualität der Teamarbeit und hinderte das Team daran, das volle Potenzial auszuschöpfen.
Statt starrer Rezepte sind in der Bildungsarbeit flexible und anpassungsfähige Ansätze erforderlich. Diese brauchen differenzierte Beobachtung und die Bereitschaft, Methoden und Vorgangsweisen ständig anzupassen. Beobachtung, Feedback und Reflexion sind der Kern des Prozesses, um sicherzustellen, dass individuelle Bedürfnisse erkannt und entsprechend mit Inhalten adressiert werden. Lernende müssen die Freiheit haben, verschiedene Strategien auszuprobieren und dabei eigene Lösungen zu entwickeln - das ist der Weg zu echtem Lernerfolg.
- Beispiel: Führungskompetenzen. "Situatives Führen" zeigt, warum es keine allgemeingültige Regel für gute Führung gibt. Jede Situation verlangt nach einer anderen Herangehensweise. Lernende müssen ermutigt werden, flexibel zu reagieren, auf ihr Team einzugehen und je nach Bedarf verschiedene Führungsstile zu nutzen, statt blind einer goldenen Regel zu folgen.
Auch hier zeigt sich, wie starre Regeln versagen können: In einem Trainingsprogramm für angehende Führungskräfte wurde betont, dass "offene Kommunikation" stets der beste Führungsstil sei. Eine Teilnehmerin setzte das in einem schwierigen Moment konsequent um, indem sie in einer Krisensituation jedes Problem offen ansprach, ohne vorher die emotionale Verfassung ihres Teams zu berücksichtigen. Das Ergebnis: Die Unsicherheit im Team wuchs, da die Mitarbeitenden sich überfordert fühlten, ständig über alles Bescheid wissen zu müssen, was zu einem Vertrauensverlust führte. Der vermeintlich richtige Führungsstil verfehlte sein Ziel, weil die individuellen Bedürfnisse und die spezifische Situation nicht berücksichtigt wurden.
Fazit: Bildungsrezepte und goldene Regeln mögen auf den ersten Blick Sicherheit und Einfachheit bieten, sind aber der Komplexität individueller Lernprozesse nicht gewachsen. Vor allem bei der Entwicklung von Soft Skills führen nur individuelle Ansätze und das Eingehen auf die Persönlichkeit der Lernenden zu nachhaltigem Erfolg. Flexible, reflektierte und wandelbare Methoden fördern die Selbstkompetenz und ermöglichen es Lernenden, ihre eigenen Wege zu finden - und das ist, was wirklich zählt.
Ausblick
Gute Ausbildungen setzen genau hier an und schaffen Lernumgebungen, die flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden eingehen. Statt starrer Vorgaben wird auf Methodenvariation gesetzt, die es ermöglicht, verschiedene Ansätze zu erproben und persönliche Stärken zu entdecken. Differenzierte Beobachtung, kontinuierliche Reflexion und die Förderung von Selbstwirksamkeit sind wesentliche Bestandteile. Ausbildende müssen in der Lage sein, situativ auf die Lernenden einzugehen, adaptive Unterstützung zu bieten und eine Kultur des Vertrauens und der Offenheit zu schaffen. Dadurch wird es Lernenden ermöglicht, nicht nur Wissen und Fertigkeiten zu erwerben, sondern auch die Kompetenz, in unbekannten Situationen kreative und selbstbewusste Lösungen zu entwickeln. Das Ziel guter Ausbildung ist nicht Konformität, sondern die Förderung von individueller Stärke und Vielfalt.
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